Incredible India – eine Hassliebe

Wenn ich so durch meine Posts scrolle faellt mir ein Muster auf: Erst Anfangseuphorie, dann zeitweiliger Tiefpunkt und mittlerweile: mixed feelings. Ich fliege heim. Und freu mich. Und bin gespannt wie es da wird.

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An schlechten Tagen in Indien brutal. Wenn man unausgeschlafen aus dem Nachbus steigt und 17 Taxifahrer auf einen losstuermen. Der Satz “Whereareyougoing” in diesem indischen Englisch [Wehr ar you goooing], der dir alle 10 Meter entgegenfliegt. Und der zweite Rickscha-Fahrer, der 3 Sekunden nach dem letzen vorbeifaehrt und sich sicher ist, dass man die Meinung soeben geaendert hat und mit ihm fahren will. Wenn du muede bist, setzt dir auch die Hitze heftig zu. Vielmehr noch die Schwuele. Und der Kopf kann diesen Sturm an Eindruecken einfach nicht verarbeiten. Dann fallen einem auch besonders die Starrer auf. Die Starren. Und Starren. Und nicht wegschauen. Die Gerueche sind zu viel. Der Laerm. Und der Dreck.

An guten Tagen, ist das alles ein Gegenteil. Der Richscha-Fahrer macht auch nur seinen Job. Kann man ja ignorieren. Ueberall gibts was zu sehen. Die Leute schauen dich interessiert an und laecheln, wenn du sie anlaechelst. Pure Neugier. Ueberall riecht es. Wenn auch nicht immer gut. Und man fliegt durchs pulsierende Leben.

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Es ist eine Hassliebe. Und jeden Tag anders. Wer Essen liebt, muss nach Indien kommen. Denn es gibt in den verschienden Teilen so unterschiedliche Sachen. Gut: Reis gibts ueberall. Viel. Und auch wenn es ein Paradies fuer Vegetarier ist. Es ist ein noch groesseres fuer Non-Veg Esser. Indisches Sightseeing sollte der europaeische Weltenbummler nicht ueberschatzen. Es gibt einige beeindruckende Bauten. Das Taj Mahal. Der goldene Tempel in Amritsar. Aber der Durchschnitt ist nicht der Brueller.

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Wer nach Indien kommt sollte Menschen und Natur sehen wollen. Also verschiedene Landschaften. Nicht unbedingt Natur wie wir sie uns vorstellen. Der Nordosten ist ein Muss. Da ist es wunderschoen und ruhig und kuehl. Aber auch Kerala ist auf seine Strandart hammer. Staedte sehen irgendwann alle gleich aus. Und kleine Staedte noch viel mehr.

Ich wurde gefragt, was ich aendern wuerde, wenn ich koennte. Und neben den ganzen grossen Themen, die aussichtslos erscheinen, finde ich erschreckend wie hier mit dem Thema Muell umgegangen wird. Vor klein auf lernt man, Muell in die Steppe zu werfen. Fallen zu lassen, wo man geht und steht. Und klar gibt es diese inoffizielle Muellsammelsystem, von dem ein Teil der Aermsten lebt. Aber wer hier war und den Muell gesehen hat, kann mir nicht erzaehlen, es wuerde funktionieren. Es fehlt einfach komplett ein Bewusstsein dafuer, was Muell macht.

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Und ich hab mich auch gefragt: Gibt es DEN Inder? Wenn es ihn gibt, ist er super neugierig und hat keine Scheu jemanden anzusprechen. Egal ob Landsmann oder Fremden. Er spricht generell sehr schlechtes Englisch. Und ist trotzdem der Erste der dir hilft. Auch wenn es dir nix hilft. Man spuert oft eine extrem grosse Offenheit und die Bereitschaft, zu geben. Und trotzdem ist des Inders Hauptproblem: Wie verdien ich mein Geld? Der Inder wackelt mit dem Kopf. Und zwar in allen Schichten und Gegenden. Und er starrt sehr gerne und ohne Scheu. Starren gilt hier wohl nicht als unhoeflich. Und Zurueckstarren ist eine Einladung weiterzumachen. Wer kennst das Spiel: Wer lacht zuerst . So schaut das dann aus! Und vor allem: Der Inder ist begeisterungsfaehig. Wer 60.000 Inder bei Coldplay gesehen hat kann nur staunen. Jeder Song wird nach den ersten Toenen gefeiert, in Ekstase. Ein kleiner Strassenunfall artet schnell zu einer Massendiskussion aus. Und am Schluss teil man eine Flasche Wasser und alles ist gut. Wenn irgendwo drei Leute stehen und es scheint da was zu geben, stellt der Inder sich immer dazu. Der Inder hat eine andere Beziehung zu Naehe. Wahrscheinlich einfach bedingt dadurch, dass immer ueberall wer ist.

Und vor allem scheint der Inder eine kreative Ader bezueglich englischer Rechtschreibung zu haben. Hier ein kurze Fortsetzung der List: Wer also gerne von A nach B will und den Bus verpasst hat, der nimmt doch einfach ein Texi. Das ist immer availablel. Doch Vorsicht: Hier ist only cash accepeted. Kommt man dann in B an, hat man gemeinhin Hunger. Gut, dass ein Touristenlokal Shinitzel auf der Karte hat. Ein anderes Schitchel. Man hat also eine breite Auswahl. Und dazu gibt es natuerlich Naan (Brot) ohne Butter, das normalerweile als plain naan feilgeboten wird. Findige Koeche bringen das irgendwie mit dem Luftverkehr zusammen und schon gibt es plane naan. Koente schmecken. Und hat man sich dann den Bauch mit…Flugzeugnaan… vollgeschlagen, goennt man sich doch ein schoenes Zimmer. Wer nicht zum Pieseln auf den Gang will, hat gerne ein Bad im Zimmer. Gut, dass es viele Hotels gibt die einen attacth bathroom bieten.

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Mit diesem Grinsen auf dem Gesicht, kehre ich dieser Hassliebe, Incredible India, den Ruecken zu. Du bist wirklich unglaublich, Indien. In so vielen verschiedenen Arten, unglaublich. Gerade freue ich mich unglaublich auf daheim. Aber ich bin mir sicher, irgendwann wird du mir fehlen.

Die Heimat der Yaks

Was wir im Rest des Landes in alten, klapprigen und rostigen Staatsbussen auf Holzbänken abgesessen haben, findet im Norden Indiens (da, wo die grossen Berge stehen) in Shared Jeeps statt. Man bucht einen der Plätze. wartet bis genug Leute da sind. Und los. Maximale Belegung 15 Menschen innen. Plus je nach Dringlichkeit 3-5 Aussen. Gepäck kommt aufs Dach. Wird gern auch nicht festgeschnallt. Der Zustand der Jeeps ist oft fraglich: Reifen. Türen. Bremsen.

20170415_133042Unsere Pannenbilanz: 7 Fahrten, 5 Pannen. Reifen werden eh dauernd gewechselt. Ist aber auch logisch beim Zustand der Strassen. Die bestehen meistens mehr aus Schlagloch denn aus Teer. Deutsche Forststrassen sind wohl besser ausgebaut. Und diese Schlaglöcher führen auf der einen Seite des Tals runter. Und drüben wieder hoch. Da dauern 20km gern mal 2 Stunden. Ist dafür aber wunderschön. Tiefe Täler. Wasserfälle. Sattes Grün. Immer wieder kleine Restaurants mit leckerem Essen. So muss reisen früher in den Alpen gewesen sein. Beschwerlich, aber auch schöner als der Brennertunnel.

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Unsere erste Jeepfahrt hat in Sachen Pannen gleich mal die Latte hochgelegt. Als wir zusammengequetscht losgefahren waren, hatten wir gerade alle Beine sortiert als wir Pause gemacht haben. Motorkühlung mit Gartenschlauch. Wir derweil: chai trinken. Alle ganz entspannt.  Nach 30 Minuten weiter. Für immerhin eine Stunde. Dann Meldung: Reifen platt. Also alle raus und Reifen wechseln. Wir derweil: zuschauen. In die Berge schauen. Angst haben. Denn: Der Ersatzreifen schaut fertig aus. Und das nicht nur nach europäischen Standards. Da war deutlich ein Loch drin. Und wer wundert sich da über ein lautes Reifenplatzen nach 10 weiteren Fahrminuten. Als dann alle Inder in vorbeifahrende Jeeps umsteigen, machen wir das auch. Auch wenn der Fahrer versichert in 5 minuten mit neuem Reifen zurück zu sein. Was du auf den Fahrten lernst: Fahrern blind zu vertrauen egal wie gschubst sie fahren! Und trotzdem zu schlafen.

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Der Norden ist super. Wunderschöne Natur. Weniger Menschen. Die eher aussehen wie Asiaten. Und die weniger starren. Und dafür mehr lächeln. So zumindest mein Eindruck. Vorherrschende Religion ist der Budshismus. Zumindest was man an Klöstern sieht. Genau wie beim Hinduismus fällt mir auf wie wenig ich weiss. Dass es auch bei denen verschiedene Gruppen gibt, die nicht zwangsweise an die gleichen Sachen glauben und die selben Dinge tun.

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Nach der langen Zeit in den indischen Plain Lands war vor allem eines umwerfend: Die Natur. Dazu die Ruhe. Die frische Luft. Regen. Nebel. Und sehr dünne Luft auf 4000m. Kein Handyempfang und nur Kartenspielen als Ablenkung. Oder mal ein Yak das vorbeimaschiert. Auf den Berg hat uns ein kleiner Hofstaat begleitet: Koch, guide, Pferdeflüsterer und zwei Helfer. Mehr Personal als Wanderer. Ohne darf man allerdings auch nicht hoch. Es gab wunderschön ruhige Bergseen die Wünsche erfüllen, bitterkalte Nächte im Daunenschlafsack, blendend helle Sonnenmorgen und ein Sternenhimnel wie du ihn sonst fast nirgends siehst.

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Und auch das Essen verändert sich total. Mehr chinesisch, sehr viel Tibetisch. Momos sind das Standardessen. Tibetische Maultaschen quasi. Und es gibt ein interessantes Umgehen mit Alkohol. Geh in einen Pub. Was will man da? Korrekt. Ein Bier. Gibts aber nicht. Probleme mit der Lizenz. Schnaps gibts auch nicht. Aber einen Whiskey Sour kannst du haben. Weils logisch ist. Also nimmst du halt einen!

Aus dem Land der Könige, und was auf ihren Toiletten passiert

Rajasthan ist ein Bundesland in Indien. Relativ trocken, dadurch arm. Es kommen aber ziemlich viele Touristen, weil es angeblich das Indien ist was man sich so vorstellt. Ging mir nicht so. Hab mir Indien nie richtig vorgestellt. Jedenfalls gibt es unglaublich viel alten Stein, viele trockene Landschaft. Und viele bunt gekleidete Menschen. Und jede Stadt hat ihren eigenen König. Auch nicht schlecht. Da gab es früher mehr Herrscher, die sich gegenseitig auf die Mütze geben konnten. Und alle haben sie gebaut wie die Weltmeister. Paläste. Und Forts. Und wichtig, Tempel. Man will ja die da oben nicht vergraulen. Die da oben, das sind übrigen 33 Millionen. Übern Daumen geschätzt denke ich.

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Einige von den Gebäuden sind sehr beeindruckend. Entweder unglaublich groß und pompös. Oder super detailliert gearbeitet. Oder beides. Trotzdem, nach dem vierten Fort und dem drölften Tempel kommt nicht mehr viel Neues dazu. Es ändert sich noch der Name des Erbauers: von Ranjit Irgendwas Singh zu Rama Irgendwas Singh. Der Rest bleibt gleich.

Herausgestochen hat das Taj Mahal. Natürlich, sagt ihr. Meine Erwartungen waren nicht so groß, nachdem ich viele “Sehenswürdigkeiten” in Indien gesehen habe, die alles andere als sehenswert waren. Das Taj Mahal ist es. Majestätisch. Und trotzdem unglaublich fein gearbeitet. Kann man mal bauen, für seine Frau. Gut, die hat auch ihre Pflicht erfüllt und einen Sohn zur Welt gebracht. Nur fair also.

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Ja, man merkt allerdings auch, dass man auf Touristenpfaden wandelt: Ich habe noch nirgends so freche Preise und Forderungen gehört wie auf dieser Reise. Zwei kleine Beispiele, die mich echt wütend gemacht haben. Wir wollen an einem Straßenstand Wasser kaufen. Kostet überall 20 Rupien die Flasche. Maximal 30. Kommt so ein kleiner Straßenjungefratz an, der aber eigentlich ganz frisch aussah und sagt, bevor der Verkäufer was sagen kann: 50 Rupien. Als wir dann das Wasser für 20 Rupien gekauft haben, läuft er uns hinterher und will 200 Rupien haben. Wenn man was spendet, dann normal so 10-20 Rupien. Aber man kann ja mal nach dem 10-fachen fragen. Nachdem man die Leute davor beim Einkaufen verscheissern wollte. Fand ich schon gewagt.

Und zweitens ein Security-Mann in einem Alten-Stein-Gebäude. Kommt ungefragt her und erzählt uns wie viele Fenster das Gebäude hat. Danke, seh ich selbst. Und das die Fenster dazu da sind, damit Licht reinkommt. Ein schlauer Mann! Der dann noch ein Foto von uns gemacht hat. Wir geben ihm also ein kleines Trinkgeld. Hat ja auch hart gearbeitet. Ungefragt. Und was macht er? Er sagt, das wäre ihm zu wenig. Da musste ich mich schon sehr auf den Yoga Punkt zwischen meinen Augen konzentrieren, um nicht böse zu werden.

Klar sind das für uns kleine Beträge und wir mögen super reich sein in Indien. Trotzdem ist es super unangenehm so sehr aufs Geld reduziert zu werden. Da ist kein echtes Lächeln und kein echte Gespräch mehr, sondern nur noch eine klitzekleine “Dienstleistung” um Kohle fordern zu können. Und manchmal nicht mal diese “Dienstleistung”. Und genau das ist Trinkgeld ja irgendwie: Man ist zufrieden mit dem was man bekommen hat.

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Holi in Indien war super. In Europa verbindet man das Ganze ja mit Farben schmeißen und Party. Es hat sich herausgestellt, dass es hier ganz anders gefeiert wird. Nämlich eher als Ritual Freunden und Verwandten Glück zu wünschen. Oder wildfremden Menschen. Man trifft sich auf der Straße, wünscht sich alles Gute und schmiert sich Farbe ins Gesicht. Alles sehr gesittet und nett. Die Kinder randalieren derweil ein bisschen mit Farbbeuteln, Wasserbomben und Spritzpistolen.

Überrascht hat uns außerdem etwas Verrücktes: Regen. Bezeichnenderweise in der Wüste. Erst 17 Tropfen auf der Windschutzscheibe. Dann aber ein ganzer Nachmittag Vollgas-Regen. Ungewohnt. Aber schön. Ist gleich irgendwie gemütlich geworden, ein Gefühl, das in Indien sonst nicht so präsent ist.

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Durchaus präsent ist eine andere Situation. Ist mir diesmal auf den royalen Toiletten passiert. Aber es war nicht das erste Mal. Wir stellen uns also vor: Eine Herrentoilette. Kennt man ja. Mehrere Stehbecken nebeneinander. Abgetrennt durch einen niedrigen Sichtschutz. Du gehst also in diese Toilette und als du durch die Tür trittst, schwappt dir eine Welle Geruch in die Nase wie ihn Festival-Toiletten im Höchststand nicht produzieren können. Noch nie davor so einen Brechreiz-Geruch gerochen. Also umstellen auf Mundatmung und rein da. Wie immer alles belegt, man wartet also kurz. Als man dann an der Reihe ist und auspackt, bemerkt man schon ein Kopfwenden rechts und links. Normalerweise ist die Wand geradeaus ziemlich interessant und wird von allen intensiv begutachtet. Was dann folgt sind viele überhaupt nicht unauffällige Versuche, am Sichtschutz vorbei zu schauen und ja, zu sehen wie das da unten bei einem weißen Menschen aussieht. Hallo! Ich sag mal so: Ein gesundes Interesse an anderen Menschen und der Anatomie ist ja wünschenswert, aber man kann es übertreiben. Zurückstarren hilft nicht. Sichtschutz auch nicht. Dann muss es dir halt wurscht sein. Zeigt mal wieder, dass hier ein anderer Höflichkeitsabstand gilt als bei uns.

In den Gassen eines Slums

Nicht vieles prägt unser westliches Bild von Indien so sehr wie Slums. Bevor ich hergekommen bin dachte ich: Elendsviertel. Kriminalität. Verzweifelte Menschen. Schlamm. Gestank. Häuser, die auseinanderfallen. Jetzt kann ich berichten wie das Ganze in Echt aussieht.

So viele?

Zunächst mal zur großen Situation: 60% der Bevölkerung Mumbais wohnen in Slums. Gesamtbevölkerung Mumbai sind grob 20 Mio. Jeder freie Ort innerhalb der Stadt wird von Menschen besiedelt. Auch der Gehsteig. Und das ist dann besonders krank, wenn im Geschäftsviertel der 100. Wolkenkratzer für eine internationale Firma gebaut wird und sich unten, wie eine Wiese, ein Slum ausbreitet. Krass ausgedrückt.Skyscraper

(Quelle: http://static.panoramio.com/photos/large/47619189.jpg)

Nehmen wir unser Viertel Chembur als Beispiel. Das ist ein Vorort. Wie schon mal erwähnt ist es eher einer der problematischen: Atomreaktor. Müllkippe der Stadt. Und viel Slum. 800.000 Leute leben hier im Slum. Lächerliche 200.000 in “normalen” Verhältnissen. Da hier sowieso schon alles scheiße ist verlegt die Stadt gerade ihr Hauptgefängniss hierher. Stört da ja auch keinen. Oder: Aus den Augen aus dem Sinn. Hier herrscht eine der größten Kinder- und Müttersterblichkeitsraten der Stadt und die Analphabetenrate ist erschreckend hoch. Es gibt 2 weiterführende Schulen, wo eigentlich über 30 stehen sollten.

Im Alltag merkt man natürlich nicht viel davon. Ist halt ein einfaches Viertel, es gibt keine fanzy Bars und wenig Unterhaltung. Die Menschen leben hier.

Magic Bus – Ein hoch auf unsern Busfahrer!

Wie komm ich jetzt also in einen Slum? Über 5 Ecken bin ich bei einer NGO (magicbus.org) gelandet, die benachteiligten Kindern Bildung durch Sport vermittelt. Alltagsbildung wie Konfliktlösung. Vertrauensbildung. Teamwork. Kann ich mich mit identifizieren. Fand ich gut. Die haben mich also zu ihren Sessions eingeladen. Blöderweise war das Kontakthandy für den ersten Termin: ausgeschalten. Ich wusste also nicht genau wo. Und wer. Ich war ein bisserl aufgeregt. Egal. Also bin ich in eine Riksha gestiegen und einfach mal reingefahren, in diesen Slum. Ist ja quasi um die Ecke, meine Hood. Vor Ort hab ich dann rumgefragt. Alle sehr höflich, alle sehr freundlich. Kein Überfall auf den Weißen.

Ein kleiner Bub, der ein MagicBus Trikot an hat, teilt mir dann mit, ich solle doch mal mitkommen. Und dann gehst du halt einfach mal rein, in die erste dunkle Gasse, die dir entgegenkommt. Es wird dunkel. Und kühl. Angenehm eigentlich. Der Bub winkt dich weiter. Alle grüßen nett. Fragen nach deinem Namen und wo du herkommst. Und lassen dich dann in Ruhe. Und tatsächlich bringt er mich nicht zu seinem großen Bruder, dem Gangsterboss, sondern in den Gruppenraum der Organisation. Wieder alle super nett und hilfsbereit. Wir gehen mit den Kids kicken. Alles bestens.

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(Quelle: http://d6967f8ba60ff6d27bef-67527ab574a15b7eec76e75766ec9413.r99.cf2.rackcdn.com/1376470090_599.jpg)

Danach gehts auf Community-Visit, aka Slumtour. Und wie ich davor von außen und woanders schon gesehen habe: Ein Slum ist kein Elendsviertel. Zumindest nicht generell. Es mag auch richtig fertige Slums geben, sowieso. Aber die meisten schauen so aus: gemauerte Häuser, Wellblechdach, ein Raum, drinnen sehr sauber. Keine Möbel, weil kein Platz. Enge, schattige Gassen. Viele Menschen, die alle sehr beschäftigt sind. Tiere in den Gassen. Wasserversorgung über Leitungen. Es gibt sogar Toiletten. Der eine kleine Junge wollte trotzdem lieber vor mir in den Kanal kacken. Dieser Abwasserkanal schaut grausig aus, stinkt aber erstaunlich wenig. Sonst liegt viel Müll rum, wie überall in Indien. Es gibt einen Markt, Geldautomaten und Zigarettenläden. Die Menschen arbeiten als Rikshafahrer, Bananenverkäufer oder Wachmann in besseren Vierteln. Das Viertel ist super lebendig. Ein Slum ist einfach ein sehr komprimiertes Wohnviertel. Aber meistens kein Elendsviertel. Da hat sich mein Bild extrem gewandelt.

Trotzdem bleiben viele Probleme. Drogen. Alkohol. Bildung. Schlechte Hygiene wegen zu wenig Toiletten und fließend Wasser. Slummafia. Und viele Sachen mehr, die den Rahmen sprengen würden.

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(Quelle: http://images.mapsofindia.com/my-india/2014/11/dharavi-panorama-1024×680.jpg)

Learnings

Ich hab also zuallererst mal mitgenommen, dass Slums anders sind wie ich sie mir vorgestellt habe. Und aus dem Kicken mit den Kindern hab ich Folgendes mitgenommen: Ich glaube Kinder auf der ganzen Welt sind gleich, egal mit welchem Background. Die wollen spielen. Und wenn man sie anlacht, lachen sie zurück. Klingt sehr abgedroschen. War aber so. Da war dieses kleine, schmächtige Mädchen. Hat mir den Ball abgenommen und danach eine Stunde nicht mehr aufgehört mich anzulachen. Oder dieser halbe Meter an Burschi, der sich gefreut hat, dass endlich mal wer da ist, mit dem er vernünftig Fussball spielen kann. Und nicht mehr von meiner Seite gewichen ist.

Und natürlich war das nur ein kurzer, oberflächlicher Einblick was da passiert. Aber es hat doch ein wenig das Bild vervollständigt, dass Indien mir zeigt. Abseits von Traumstränden und genialem Essen. Und es hat mir bestätigt, dass diese oft beschriebene Kraft des Sports tatsächlich funktioniert.

 

 

Titelbild (http://penniur.upenn.edu/uploads/projects-pubs/mumbai.slum.feature.jpg)

 

Football in India

Ich habe meinen Fußball vermisst. Den Fokus aufs Spiel. Den Teamspirit. Und die Anstrengung. Deswegen rolle ich meine Karriere jetzt in Indien neu auf.

Aber wie steht es um einen Sport, in dem Indien in der Weltrangliste einen bescheidenen 129. Platz hinter Surinam belegt? Spielt das überhaupt wer? Cricket ist doch hier der Sport Nr.1. Mittlerweile weiß ich: Es gibt ziemlich viele Fans. Und wenig Spieler.

Jeder Sportinteressierte hier verfolgt die Premier League. Alle Spiele werden übertragen. Die Zeitungen haben dafür extra Spalten. Dann die spanischen Top Klubs. Die Bundesliga kommt danach. Bayern und Dortmund kennen viele. Ein Interesse ist also da. Aber was können die Kicker hier am Ball?

Wenn man ein bisschen sucht findet man durchaus Spielpartner. Die auch ganz gut spielen. Kreisklasse vielleicht. Es gibt aber auch viele die können: nix. Die Pässe haben eine Streuung wie eine Flinte vor 300 Jahren. Spielübersicht Fehlanzeige. Und technisch schaut das nach D-Jugend aus. Vorbilder sind natürlich trotzdem Özil und Messi. Es gibt aber natürlich auch kein Trainingssystem. In den letzten Jahren entwickelt sich sowas. Davor haben die guten Spieler ihre Jugend wie wir auf dem Bolzplatz verbracht. Der Rest hat Cricket gespielt und ausversehen mal gegen einen vorbeirollenden Ball getreten.

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Übrigens: Gegen indische Bolzplätze sind deutsche Plätze englische Rasen. Staubtrocken sind die Plätze. Mit Verlaub: man rotzt danach einen halben Tag braune Erde. Gras gibts nicht. Das eine Bild ist eine Ausnahme: Privat betrieben von einer Firma. Die Tore sind meistens…naja egal.

Ich fall immer wieder auf Google Maps rein. Wunderschöner grüner Park angezeigt. Schaut dann wie auf den Bildern aus. Dafür drängen sich auf einer Fläche eines deutschen Platzes soviele Menschen wie normal in ein Wiesnzelt reingehen. Freizeitspaß und Entspannung.

Es gibt auch Soccer5-Plätze mit Kunstrasen. Die sind normalerweise auf Hausdächern. Das ist ganz cool. Kostet natürlich entsprechend. Ungefähr deutsche Preise.Wird normalerweise von den gutverdienenden nach der Arbeit genutzt.

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Auch noch interessant: Inder sind super kompetitiv. Weil es so viele Menschen gibt, müssen alle irgendwie rausstechen. Inder erzählen gern was sie schon so geschafft haben. Oder sie müssen lauter sein. Man merkt das dann an der Kasse oder beim Anstehen. Vordrängeln macht jeder. Und wer am lautesten schreit wird auch bedient. Das geht soweit, dass man gerade mitten im Bezahlvorgang ist und dann plärrt einer lauter. Dann wird unterbrochen und der nächste bedient. Man steht dann bissl ungläubig da und will eigentlich nicht lauter schreien. Muss man aber irgendwie. Highscore bisher: In einem Kaufhaus während Sale. Einkaufszeit: 1,5 Stunden. Zeit an der Kasse: 1,5 Stunden. Dieses kompetitive Verhalten wird 1:1 auf den Platz gebracht. Gewinnen ist Pflicht. Weitschüsse sind gern gesehen. Hartes Einsteigen ist nicht immer nur Unvermögen. Und laut und hitzig gehts zu.

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Und meine Karriere? Steil geht sie nach oben. Vor einer Woche bin ich ins uniinterne Turnier eingestiegen. Ich bin von einem Klassenkameraden ins Team aufgenommen worden. Dann, kurz vor Spielbeginn wurde für mich das Wintertransfer-Fenster nochmal geöffnet und schwuppdiwupp wurde der Deutsche meistbietend an ein anderes Team verhöckert. Es folgte ein Ausscheiden im Penalty-shootout. So schlecht wars wohl nicht. Wurde noch auf dem Platz ins Uninationalteam berufen. Eine Ehre. Und schon geht es zu den Unimeisterschaften. Stammplatz auf der 6. Und gleich den Pott geholt. Stadtmeister von Mumbai. Und sogar das Tor getroffen. Klingt doch nicht verkehrt.

 

Die kalte Seite Indiens

Mir ist aufgefallen: Man weiß eigentlich nichts über Indien. Man weiß das hier viele Menschen leben. Stimmt soweit. Weißt Du, welche Stadt die Hauptstadt ist? Ok. Und wo die ungefähr liegt. Gut. Aber wusstest Du, dass Indien eine Atommacht ist?  Ich wusste es nicht. Deswegen hier ein wenig schlecht recherchiertes Hintergrundwissen.

Einige beunruhigende Fakten zum Warmwerden: Indien besitzt ein reichhaltiges Arsenal an Nuklearsprengköpfen. Die entsprechenden Trägerraketen haben sie auch. Reichweiten bis Europa, Südamerika und Nordamerika sind zumindest in Planung. Indische Sicherheitsstandards sind nicht die höchsten. Und ein politischer Konflikt macht das Ganze nicht ungefährlicher.

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Pakistan und Indien waren mal mehr oder weniger eins. Da saßen die Briten noch hier und haben es sich gutgehen lassen. Dann kam die Teilung. Und eine Völkerwanderung. Millionen von Muslimen aus Indien nach Pakistan. Und Hindus dafür zurück. Und natürlicherweise war man sich nicht so ganz einige wo die Grenze verläuft. Dieser eine Gletscher in Kaschmir ist natürlich auch ein strategisch wichtiges Stück Land. Also macht man halt bissl Krieg. Das China auch Teile des Gebietes für sich beansprucht macht die Situation jetzt nicht entspannter. Seit über 50 Jahren ist Kaschmir also ein Pulverfass. In die Zeit fällt auch der Stadtschuss der Atomentwicklungen. Know-wow kam von der Freiheitsnation schlechthin – USA (& Canada). Neben tausenden Schafen (s. Kaschmirwolle) sind in Kaschmir also brutal viele Soldaten stationiert. Immer wieder schießt mal wer über die Grenze. Der andere schießt irgendwie zurück. Hier und da stirbt jemand. Soweit so gut.

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Aber es wird noch besser. Indien hat die Atombombe. China noch viel mehr. Und genau: auch Pakistan hat ein beachtliches Arsenal. Zudem: Indien (genauso wie Pakistan) hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. Naja, auf einen atomarer Erstschlag verzichtet Indien immerhin. So weit geht Pakistan nicht. Aber zurückschießen ist auch für Indien drin. Auch wenn der andere “nur” chemische Waffen benutzt hat. Klingt eigentlich fair.

Seit Jahren steigen also die Ausgaben fürs Milität. Indien liegt auf Platz 6 weltweit. Man muss natürlich schon sehen: Indiens Grenzen sind rießig. Das ist quasi, wie wenn ein Land die EU-Grenzen unter Kontrolle haben müsste. Nur viel mehr Meeresgrenze. Trotzdem ist es verrückt, weil das Geld woanders sicher gut verwendet wäre. Waffen statt Wasser.

Und tatsächlich ist das nukleare Thema in Realität erschreckend nah. Direkt angrenzend an den Campus ist ein abgesperrtes Gebiet. Atomenergie. Inklusive Reaktor. Erstaunlicherweise hören wir regelmäßig laute Tanzmusik und stampfende Beats aus der Richtung. Rave auf dem Reaktor. Muss eine explosive Stimmung sein.

Aber nicht nur im übertragenen Sinne zeigt uns Indien die kalte Schulter. Sensationsmeldung in der Zeitung. Tiefste Temperatur seit Jahren. 12.4 Grad in der Nacht in Mumbai. Nur noch 27 Grad tagsüber. Wir ziehen manchmal einen Pulli an.

 

 

Quellen: http://ntiindex.org/, https://www.boell.de/de/2014/03/24/indiens-nuklearwaffenprogramm-der-mythos-der-maessigung, https://de.wikipedia.org/wiki/Kaschmir-Konflikt, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/, http://www.newsnation.in/photos/news/snow_envelopes_north_india-866/slide1#ph-8661, https://www.google.co.in/url?sa=i&rct=j&q=&esrc=s&source=images&cd=&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiW3cu5jsHRAhVMLo8KHW79DosQjRwIBw&url=http%3A%2F%2Fwww.faz.net%2Faktuell%2Fpolitik%2Fkaschmir-konflikt-blair-soll-vermitteln-149923%2Fkashmir-155791.html&psig=AFQjCNH__bHRdTrwwdX4nyNPKoXUmSBqlg&ust=1484465251134996

Von Traumstränden und Schleudersitzen

Zwei Wochen auf Reisen haben wieder gezeigt: Indien kann vieles. Aber vieles auch nicht.

Indien kann definitiv Strand. Nicht in Mumbai. Da geht keiner ins Wasser. Wäre auch Selbstmord. Aber der Süden kann Strand. Und mehr. Goa fühlt sich nach Mumbai wie eine stille Oase an. Ok, nur im einen Teil. Der andere Teil is all about drugs. Und Russen. Keine so gute Mischung. War ein schönes Weihnachten 2016. Wenn man dem aber entkommt, dann ist es ein kleines Paradies. Ruhige Strände. Da gefällts auch den Kühen. Hütten am Strand. Frischer Fisch – Unglaublich. Delfine und Sonnenuntergänge. Und ungewohnt: Kein Anstarren. Gut, ist auch mehr eine Ausländerenklave, diese Goa.

Um dort hinzukommen bedarf es aber etwas Wissen. Indien kann Transport. Manchmal. Denn: Ein “successful booking” des Zuges mit den zugewiesenen Plätzen WL82 und WL83 bedeutet schlussendlich, dass der Zug ohne dich losfährt. Sag doch bitte einer, dass WL Waitinglist bedeutet. Und schickt doch bitte eine kurz Nachricht, dass man keine Plätze confirmed bekommen hat, bevor der Zug abfährt, nicht 12 Stunden später. Danke.

Indien kann Transport. Übernachtbusse sind genial. Abends rein. Pennen. Morgens raus.

(Mama, Papa, lest doch einfach einen Absatz weiter unten weiter. Danke.)

Übernachtbusse sind genial. Dachte ich bis zu einem Schlüsselerlebnis: Da steigst du entspannt ein und schläfst traumhaft ein, in deiner Schlafkabine. Nach einer Stunde dann Gerumpel. Alle raus aus dem Bus. Hektik. Und da stand ich dann in meiner Buchse im Gang. Mein Schlafsack unterm Arm. 2 Uhr nachts. Dunkelheit. Also raus aus dem Bus. Hose hatte ich dann doch noch angezogen. Der Bus war kaputt. Aber der Inder improvisiert. Kopfwackeln. No problem. Es werden also alle auf vorbeifahrende Busse verteilt. Also rein in den nächsten Bus – als letzter. Hektik. Neue Betten werden zugeteilt, Diskussionen auf Hindi. Übrig bleibt einer. Der Schaffner schlägt eine gemütlich Kabine vor. Liegt halt schon ein junges Pärchen drin. Ich lehne ab. Doch, doch meint der Schaffner. Nö, mein ich.

Kein Problem für den Guten. Wir improvisieren. Und ich sitze auf dem Amaturenbrett. Rutschiges Holz. Und der junge Bursche der sich Fahrer nennt, grinst, sagt was auf Hindi und tritt das Pedal bis zum Anschlag durch. Und das rostige Loch mit Bus außenrum schießt auf die einspurige Autobahn. Ich teil mir das Amaturenbrett derweil mit dem Schaffner. Kuschelig. Der zweite Fahrer sitzt in der Ecke und reißt andauernd kleine Tütchen auf und packt sich irgendein Pulver in den Mund. Sehr vertrauenserweckend. Und klar: sharing is caring. Ich lehne trotz Qualitätsgarantie ab.

Es stellt sich heraus: Ich sitze auf einem Schleudersitz. Der Bursche tritt den Bus brutal. Alle 100m überholen wir einen Laster. Wer kennt die Szene im Film, wenn zwei Lichter auf einen zukommen, man die Augen zumacht und auf den Einschlag wartet? Trotz Gegenverkehr zieht der Jungspund den Bus auf die Gegenfahrbahn, hält drauf und hupt durchgehend. Die Lichter werden größer. Das Hupen des Andern lauter. Im letzten Moment zieht er das Blechmonster auf die richtige Fahrbahn. Wie wenns ein Polo wäre. Ich bin tausend Tode gestorben während ich auf meinem Holzbrett rumgerutscht bin. Nach einer Stunde hab ich mich hinten in den Gang gelegt. Und jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich noch Nachtbusse buchen kann. Vielleicht nicht mehr den Günstigsten das nächste Mal.

=> MAMA, PAPA hier gehts weiter. Nachtbusse sind komfortabel, günstig und sicher.

Indien kann Essen. Sowieso immer. Hatte ich das schon mal erwähnt?  Was ich aber in Deutschland nie so realisiert habe: es gibt nicht DAS indische Essen. Klar geht das meiste schon in die gleiche Richtung. Aber das kleine bisschen, dass ich jetzt im Süden war hat das Essen schon total verändert. Viel Kokosnuss. Süssigkeiten. Mehr Fisch. Und das Familienessen einer Mama schmeckt wohl überall auf der Welt am besten.

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Und kaum aus Goa raus, hatte ich auch mein angestarrt-werden wieder. Verrückt. Klar verständlich, aber doch verrückt. Und wenn sich Leute im normalen Linienbus per Handschlag von dir verabschieden ohne dass ihr davor ein Wort gewechselt habt, fühlt sich das doch komisch an.

Indien kann so viel. Und kann so viel auch überhaupt nicht.